„Das sind echte Menschen, echte Gesichter, echte Leben.“

Ein intimes Gespräch mit Mstyslav Chernov, Journalist und preisgekrönter Regisseur von "20 Days in Mariupol" und "2000 Meters to Andriivka".

Bei unserem Event "Films Change the World" hatten wir die Möglichkeit, mit dem ukrainischen Journalisten und Regisseur Mstyslav Chernov zu sprechen. Sein Oscar-prämierter Film 20 Days in Mariupol hat weltweit für Aufsehen gesorgt – ein schonungsloser, unmittelbarer Bericht über die Gräueltaten der russischen Invasion in der Ukraine. Die Dokumentation zeigt die schockierende Realität dieses Krieges: sterbende Kinder, Massengräber, die Bombardierung eines Entbindungskrankenhauses. 
Der Film begleitet ein Team ukrainischer Journalist*innen, darunter Chernov selbst, die in der belagerten Stadt Mariupol eingeschlossen sind und die erschütternde Realität der ersten Kriegstage dokumentieren. 20 Days in Mariupol ist bis heute das erste und einzige dokumentarische Zeugnis der Grauen, die die Menschen in Mariupol und in der gesamten Ukraine erleiden mussten und noch immer müssen – ein eindringliches Dokument über die menschlichen Kosten dieses Krieges.

In einem intimen Gespräch sprachen wir mit Chernov über die Kraft des Dokumentarfilms, die brutale Wahrheit des Krieges sichtbar zu machen, über die Widerstandskraft der ukrainischen Bevölkerung und über seinen neuesten Film “2000 Meters to Andriivka”.
 

Ihre Arbeit liegt im Nachrichtenjournalismus, ursprünglich sind Sie als Journalist nach Mariupol gegangen. Was hat Sie dazu bewogen, aus dem erschütternden Filmmaterial eine Dokumentation zu machen?

Ich weiß als Journalist, dass selbst die wichtigsten Geschichten schnell aus dem Blickfeld verschwinden, weil einfach so viel passiert – in der Ukraine, aber auch weltweit. Diese enorme Informationsflut sorgt dafür, dass Dinge, die mir wichtig sind, die für die Geschichte meines Landes und vielleicht sogar für die Menschheit von Bedeutung sind, verloren gehen. Ich hatte das Gefühl, dass der einzige Weg, das festzuhalten, was mir und den Menschen, die ich so lange begleitet habe, wichtig ist, ein Film sein musste. Filme – egal ob Dokumentationen oder Spielfilme – bleiben bestehen. Und je weiter wir uns von einem Ereignis entfernen, desto wichtiger wird es, die Geschichte richtig zu erzählen. Gerade in Zeiten der „Post-Wahrheit“ und gezielter Desinformation ist es entscheidend, dass diese Aufzeichnungen existieren und für eine breite Öffentlichkeit zugänglich sind.

Gerade in Zeiten von Fake News und Propaganda: Wie wahren Sie die Balance zwischen journalistischer Objektivität und Ihren eigenen Emotionen – besonders angesichts dessen, was Sie in Mariupol erlebt und gesehen haben?

Um Menschen zu erreichen, muss eine Geschichte persönlich sein. Sonst bleibt sie nicht hängen. Wenn man versucht, alles zu erzählen, erreicht man niemanden. Doch persönlich zu sein bedeutet nicht, die eigenen Emotionen auf das Publikum zu übertragen. Genau hier liegt die feine Grenze, die einen Film glaubwürdig macht. Natürlich fällt es mir als ukrainischer Filmemacher schwer, meine Gefühle auszublenden. Aber ich habe großartige Kolleg*innen an meiner Seite – etwa meine Produzenten vor Ort oder meine fantastische Cutterin Michelle Mizner. Sie alle helfen mir, den Fokus klar zu halten. Und das spiegelt sich in “20 Days in Mariupol” und “2000 Meters to Andriivka” wider. Das Publikum merkt, dass wir unsere Emotionen oder Meinungen nicht aufzwingen – und dieses Vertrauen reicht weit.

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